Unternehmen besser für Weltmarkt rüsten
Als ich die Tage das alte Bücherregal in meinem Elternhaus durchstöberte, fiel mein Blick auf ein Buch aus dem Jahr 1974, das die Zeit bis heute nahezu unbeschadet überstanden hat. Es stammt von Alain Peyrefitte, einem französischen Diplomaten, Politiker und Autoren mehrerer gesellschaftspolitischer Bücher und Essays und trägt denselben Titel, den ich für diesen Beitrag gewählt habe. Zwar lassen sich die meisten Personen, Beispiele und Szenarien heutzutage nicht mehr so anführen, doch ist sein Appell aktuell relevanter denn je: Vergesst und Unterschätzt China nicht!
Focus auf USA und Russland beirrt
Unterstellt man der Berichterstattung in den Massenmedien einmal eine gewisse Repräsentativität, so fällt auf, dass neben deutschen und europäischen Themen (hier zumeist Corona und Klima) der kritische politische Blick hierzulande vor allem auf die USA gerichtet ist. Unermüdlich wird von den zahlreichen rhetorischen Fehltritten des US-Präsidenten berichtet, der die Alleinschuld an den sozialen Zuständen des Landes und überhaupt am gesamten Klimawandel zu tragen scheint. Dazu kommt noch etwas Russland, aber dort ist man undemokratische Zustände ja gewohnt, sowie Türkei und etwas Syrien.
Ja, all dies sind Fakten und sicher auch Berichte wert. Doch Berichte über die noch immer aktiven Demonstrationen für Freiheit und Demokratie in Hong Kong sieht man deutlich weniger sind allenfalls Randnotizen. Ebenso hört man auch nichts wenig über chinesische Wissenschaftler, die ihre Heimat verlassen müssen, da sie Entdeckungen über Corona veröffentlicht haben, die bei der Zentralregierung nicht gerade auf Beifall stießen. In unserer öffentlichen Wahrnehmung ist China ganz am Rand der Weltkarte und offensichtlich für viele weniger relevant und bedrohlich als die bei vielen in Ungnade gefallenen USA und die einst so mächtigen Russen. Doch das ist ein gewaltiger Irrtum.
China „macht sein Ding“
Während die deutsche Medienlandschaft damit beschäftigt ist, der Öffentlichkeit vor allem moralisierende Inhalte zu bieten, hat China längst zum Überholmanöver angesetzt. Dabei muss man sich gar nicht auf die derzeitige Corona-Diskussion einlassen (von deren Verschwörungstheorien man sich nicht weit genug distanzieren kann), es genügt ein Blick auf die ökonomische Realität. Während sich Europa und die USA intern selbst und extern gegenseitig lähmen, verfolgt China geschlossen eine ganz andere Strategie: Abhängigkeiten schaffen.
Dabei hat China einiges gelernt. War das 20. Jahrhundert noch geprägt von militärischen Machtkämpfen, so zeigt sich das 21. Jahrhundert von einer eher pragmatischen Seite – sieht man von Grenzverstößen im Südchinesischen Meer oder im Himalaya einmal ab: China geht auf Einkaufs- und Investitionstour. Seit Jahren kaufen sich chinesische Firmen in ausländische Firmen ein, vor allem dort, wo diese Käufe nicht durch nationales Recht geschützt oder gedeckelt sind. Zudem finanzieren chinesische Großbanken abseits jeglicher öffentlicher Betrachtung in zahlreichen Ländern strategische Infrastrukturprojekte von Straßen über Kraftwerke bis Flughäfen.
Neue Seidenstraße gegen Europäische Uneinigkeit
Diese „Neue Seidenstraße“ ist das zentrale Element der chinesischen Außen- und Wirtschaftspolitik. Durch dieses gigantische Handelsnetzwerk, das sich von Asien über Afrika nach Europa erstreckt, gelingt es China, seine technischen Standards, Grenzwerte und seine Währung dominant in den Märkten zu verankern. Wenn nun also deutsche Firmen in diese Länder liefern wollen, müssen sie bereits heute schon ihre Angebote an chinesischen Anforderungen orientieren. Böse Zungen vor Ort sagen schon: „Europa übernimmt die Afrikaner, China Afrika“.
Ohne Zynismus formuliert kann man es so ausdrücken, dass sich der globale Markt massiv gewandelt hat. Und er wandelt sich weiter: Während unsere Politiker Europa in den Lockdown schickten, bastelte China fleißig am nächsten Meisterstück, nämlich einer Mischung aus kühler Wirtschaftsstrategie und erwärmender Gesundheitsdiplomatie. So schickte China unter anderem medizinisches Personal und Geräte nach Italien und beschleunigte seine wirtschaftliche Erholung, während man am Stiefel besondere Dankbarkeit und Wohlwollen für das Reich der Mitte entwickelte. So ist Italien das erste G7-Land, eine Zusammenarbeit mit China über die Neue Seidenstraße vereinbarte.
Gesamteuropäische Wirtschaftspolitik nötig
Und wie reagiert unsere Politik auf die verstärkte chinesische (Charm-)Offensive? In der CDU diskutieren wir über Frauenquoten und glauben, dass Steuern und „Public Spending“ die einzigen Hebel der Wirtschaftspolitik seien. Mit den Grünen kann man außer über Klima, höhere Steuern sowie Radwege und Tempolimits nicht diskutieren, unsere eigentlichen Freunde bei der FDP beschäftigen sich am liebsten mit sich selbst und distanzieren sich 23 Stunden am Tag von der AfD driften gemächlich nach links, während die SPD – nun ja, die SPD ist. Man fühlt sich derzeit häufiger (frei nach Westerwelle) an die spätrömische Dekadenz erinnert.
Es wird jedenfalls dringend Zeit für eine inhaltliche Wende und eine Neuausrichtung unserer politischen Ansätze hin zu ganzheitlicherem Denken. Ein Denken, das sich stets auf europäischer und globaler Ebene bewegt, auch wenn es sich um kommunalpolitische Fragen handelt. Denn selbst die kleinste Gemeinde im Hohenlohe oder im Heckengäu bleibt heute nicht mehr verschont vor den Flügelschlägen des Weltmarkts. Aber diese Flügelschläge machen zunehmend andere. Während wir hierzulande überlegen, welche Steuern man der Wirtschaft noch aufbrummen könnte, lässt China seine Unternehmen staatlich alimentiert und zentral koordiniert auf dem Weltmarkt agieren.
Für den Weltmarkt rüsten
Die MIT geht beim Thema Inhalt nun jedoch maßgeblich voran. Im letzten Heft fanden Sie eine die politische Checkliste zu Corona, in diesem Heft lesen Sie den Bericht der MIT WüHo über die Überreichung eines Forderungskatalogs an Dr. Susanne Eisenmann. An den konkreten politischen Inhalten fehlt es somit nicht. Doch nun ist die Politik am Zuge, zu beweisen, dass sie willens und fähig ist, die richtige Politik für das Land zu machen und ausgetretene Denkpfade zu verlassen. Kernziel muss eines sein: Unsere Wirtschaft in der Stärkung ihrer Innovationskraft zu unterstützen und Ausverkäufe zu verhindern. China mag gut sein in der Optimierung von Prozessen, doch ist die Schaffung von Innovationen ist bislang noch deren Achillesferse.
Mit einer starken und innovativen Wirtschaft, einer kompetenten und handlungsbereiten Politik und sicheren rechtlichen Rahmenbedingungen müssen wir vor dem Weltmarkt und auch vor China nicht erzittern, um auf Peyrefitte zurückzukommen. Aber es liegt an uns, ob und wie wir die Voraussetzungen dafür schaffen und bereit sind, unser Denken globalökonomisch auszurichten und unseren Unternehmen zu ermöglichen, sich für den Weltmarkt zu rüsten – denn China hat sich längst erhoben.
Veröffentlicht in der Ausgabe Juli 2020 im WiFo der MIT Baden-Württemberg