Über politische Kommunikation nach dem Fall Rezo
(Titelstory des Magazins der MIT Baden-Württemberg im September 2019)
Der YouTuber Rezo, der laut Osnabrücker Zeitung mit bürgerlichem Namen Yannick Frickenschmidt heißt, gewann bis Mai 2019 seine Follower in den sozialen Netzwerken hauptsächlich durch das Veröffentlichen von seichten Musik- und infantilen Blödel-Videos. Doch wenige Tage vor der Europawahl 2019 postete er ein fast einstündiges Video mit dem Titel „die Zerstörung der CDU“. Zu Redaktionsschluss hatte es, laut Zähler auf der Webseite, über 13 Millionen Aufrufe. Zum Vergleich: Die Tagesschau wird regelmäßig von über neun Millionen Menschen gesehen, die Bildzeitung erreicht knapp zwei Millionen.
Diese Zahlen zeigen sowohl das Potential als auch die Macht digitaler Influencer auf die reale Welt. Mit den Jugendlichen, die über YouTube-Videos und Instagram-Fotos Meinungen, Ratschläge und Unterhaltung servieren, hat sich eine geschäftstüchtige Industrie entwickelt. Influencer sind die Stars der Neuzeit und verdienen ihr Geld, indem sie ihren meist jungen Followern das Bild eines virtuellen Freundes suggerieren und erhaltene Zuneigung mit Werbung erwidern. Auch hinter Rezo steckt mit TubeOne bzw. der Ströer Media Gruppe ein Anbieter für professionelle Media-Kampagnen „für die Generation Y“. Ein Schelm, wer hinter dem durch alle Medien diskutierten Zerstör-Video nicht auch ein kommerzielles Interesse vermuten würde.
Rezos bedenkliche Einstellung zur Meinungsfreiheit
In seinem Zerstör-Video, wobei „zerstören“ im YouTube-Sprachstil das argumentative Besiegen eines Gegners bedeutet, attackiert Rezo hauptsächlich die CDU. Er stellt im Verlauf des Videos einige Behauptungen auf, bleibt jedoch konkrete Belege meist schuldig. Mehr noch, er verkürzt und vereinfacht Zusammenhänge und stellt seine (moralische/politische) Sichtweise als einzig richtige dar, so als würden klar existierende Fakten keine andere Interpretation zulassen. Beispiel: Die gesamte soziale Ungerechtigkeit in Deutschland sei „nüchtern betrachtet das Ergebnis vom Kurs der CDU“.
Gefährlich und entlarvend ist besonders ein Satz, der gleichzeitig die grüne Moral wunderbar umschreibt: „Es geht nicht um verschiedene legitime politische Meinungen, sondern es gibt nur eine legitime Einstellung.“ Wenn er sagt, dass es beim Klimawandel keine zwei Meinungen gibt, disqualifiziert er sich für jedweden politischen und wissenschaftlichen Dialog. Dies gilt auch für seinen Aufruf nach „mehr Radikalität in der Klimadebatte“ – von Fakten, Kompetenz und Vernunft scheint er offensichtlich nichts zu halten. Aber das musste er auch gar nicht, denn die Wirkung des Videos entsteht viel mehr durch Unterhaltungswert und Emotionalisierung als durch fachlich korrekten Inhalt.
CDU ist ein leichtes Opfer
Genau hier liegt das Kernproblem der CDU: Es geht bei der Entwicklung, die wir derzeit erleben, nicht um faktenbasierte Sachthemen oder zu diskutierende Auslegungsfragen. Es geht auf der einen Seite um eine empfundene Ungerechtigkeit junger Menschen, die das subjektive Gefühl äußern, nicht verstanden und nicht ernstgenommen zu werden. Auf der anderen Seite ist die CDU derzeit das staunende Opfer des grünen „Astroturfing“, also von gesteuerten Aktionen der politischen Wettbewerber, die vortäuschen sollen, dass sich Bürger aus Eigeninitiative zusammenfinden, um für ein Anliegen zu demonstrieren. Dies gilt für „Fridays for Future“ genauso wie für Rezo und die spontanen „70 YouTuber für Rezo“. Vieles von dem, was wir sehen, ist akribisch geplant und professionell ausgeführt.
Bereits die Ausgangslage war ideal für einen medialen Paukenschlag gegen die Partei: Das Timing vor der Wahl ließ der CDU keine Chance, adäquat zu reagieren und selbst wenn, so hätte sie mangels Vernetzung in der digitalen Community auch niemals die Möglichkeit gehabt, wirkungsvoll zurückzuschlagen. Rezo andererseits steckte all seine jahrelange Erfahrung aus der Erstellung von Unterhaltungsvideos in den Zerstör-Clip und konnte – sicherlich mit Unterstützung seines PR-kundigen Managements – hohe Klickraten durch seine Follower und sein Netzwerk erwarten. Die weitere Bekanntmachung des Clips erfolgte dann durch die Medien, die nur allzu gern als skandalwitternde Helfershelfer fungierten. Ab diesem Moment nahmen Rezos Follower jeden Angriff auf ihn auch als Angriff auf sich selbst wahr, was eine breite Debatte über sachliche Inhalte automatisch unmöglich machte.
CDU-Kommunikation ist antiquiert und ängstlich
Anstatt auf Basis dieses Wissens die Grundregeln moderner digitaler Markenkommunikation zu berücksichtigen, warf die CDU Rezo in einer ersten Panik-Reaktion Halbwahrheiten und ungerechte Anschuldigungen vor. Damit mag die CDU zwar rechtgehabt haben, doch war genau das die Falle, die ihr der YouTuber gestellt hatte. Dies erkannte die CDU-Spitze und begann dann keine 24 Stunden später, sich ihm fast schon unterwürfig mit der Bitte anzubiedern, man möge sich doch kommunikativ auf Augenhöhe begegnen. Eine Reaktion, die öffentlich und medial zurecht als kommunikativer Offenbarungseid und politische Selbsterniedrigung des Führungspersonals wahrgenommen wurde.
Derartige Kommunikationsversuche sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Aktivisten wie Rezo sind selten an einer inhaltlichen Debatte interessiert, da sie ganz andere, oft wirtschaftliche, Interessen verfolgen. Sie verwenden flache Plattitüden vor dem Hintergrund ihrer einfachen Weltanschauung und werden diese auch bei noch so guten Gegenargumenten nicht ablegen. Außerdem ist Rezo nicht der Urheber der in seinem Video artikulierten Vorwürfe. Diese kursieren schon seit längerem in diversen linken Blasen und selbst wenn es der CDU gelänge, Rezo verbal in die Enge zu treiben, dann würden, wie geschehen, andere YouTuber seinen Platz einnehmen. Dieser Kampf gegen virtuelle Windmühlen ist ohne eigene Netzwerke nicht zu gewinnen.
Auch muss die CDU eines verinnerlichen: Rezos gibt es viele in den sozialen Medien. Aber noch größer ist die Herde derer, die aus Ideologie oder Leichtgläubigkeit Influencern folgen und jeden Shitstorm unreflektiert weitertragen. Dazu kommt eine politisch tendenziöse Medienlandschaft, die konsequent konservative Positionen torpediert und links-initiierte Shitstorms zu größten Skandalen hochstilisiert. Auch verzichten Medien zumeist auf eine Prüfung, ob die Klick-Angaben einer Webseite der Wirklichkeit entsprechen. In einer Zeit, in der tausende Klicks nur ein paar Euro kosten, ist das eine fragwürdige journalistische Leistung. Die CDU wäre somit gut beraten, sich auch unabhängig von Shitstorms und ideologisch gefärbten Medienberichten zu überlegen, wie sie ihre Politik und ihre Kommunikation ausrichten will.
Strategien für eine neue politische Kommunikation
Die CDU muss umgehend eine radikale Modernisierung und Professionalisierung ihrer Kommunikation einleiten. Grundlage dafür ist, dass sie ihre Wähler und ihre eigene Basis wieder als Zielgruppe identifiziert und sich spürbar an deren Bedürfnissen orientiert. Das können ethische Werte sein, politische Ziele oder Wünsche die Parteiführung betreffend. Wie sehr jedoch die CDU-Spitze vom Empfinden der Basis und der CDU-nahen Öffentlichkeit entfernt ist, zeigte sich beispielsweise durch die Wahl von AKK zur Parteichefin, nachdem zahlreiche Parteitage auf Kreisebene für Merz votierten.
Auf der Basis der Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Zielgruppe müssen dann attraktive, nachvollziehbare und konsistente Botschaften ausgesendet werden. Hierzu darf die CDU nicht jeder Mode hinterherrennen, denn sie wird niemals bei den Kernthemen ihrer Wettbewerber eine höhere Glaubwürdigkeit erlangen als diese selbst. Vielmehr muss sie moderne kommunikationsstrategische Ansätze verinnerlichen, inhaltliche aber vor allem auch moralische Angriffsflächen beim politischen Gegner identifizieren und auf diese relevant, unterhaltsam und emotional reagieren.
Politiker halten sich gerne für die besseren Marketing-Fachleute, doch hat nicht zuletzt der Wahlkampf zur Europawahl gezeigt, dass hier noch immer mit sehr rudimentären Kenntnissen herangegangen wird. Die Partei muss weg von Newslettern und standardisierten Posts auf allen Kanälen und hin zu einer erlebbaren Marken-Persönlichkeit und Storytelling. Unterschiedliche Plattformen müssen adäquat bespielt werden, so dass die CDU in der Wahrnehmung der Wähler ein kompetentes, authentisches und lebensnahes Marken-Image erhält.
Inhaltliche Stärke und kommunikative Kompetenz nötig
Ein dritter und letzter Hinweis aus den Lehren des politischen Marketings betrifft im Besonderen die junge Generation. Diese liest keine elfseitigen PDFs und sucht nicht nach Faktenchecks. Wenn die CDU die Jugend inhaltlich und emotional erreichen will, ist sie dringend aufgefordert, eigene (virtuelle) Netzwerke zu entwickeln und zeitgemäße Influencer aufzubauen. Aufbauen wohlgemerkt, nicht einkaufen, denn bezahlte Influencer relativieren in der sensiblen Wahrnehmung der sozialen Netze die Authentizität und nur mit glaubwürdigen Markenbotschaftern ist die Partei vor zukünftigen virtuellen Angriffen geschützt. Wobei es hier keinen hundertprozentigen Schutz geben kann, denn Wahrnehmung und Sympathie einer Marke gegenüber sind stets subjektiv und daher nicht rational erklärbar.
Der Fall Rezo zeigt jedoch, dass inhaltliche Positionierung und politische Kommunikation anstrengend sein können und von den Handelnden ein ordentliches Maß an Mut und Selbstbewusstsein erfordern. Aber korrekt ausgeführt, eröffnen sie neue und spannende Wege für politisches Handeln. Ob das derzeitige CDU-Führungspersonal hierzu willens und fähig ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Dieser Artikel ist erschienen als Titel-Story im „WirtschaftsForum“, dem Magazin der Mittelstandsvereinigung der CDU in Baden-Württemberg in der Ausgabe Juli/August 2019 (Seiten 18, 19). Das gesamte Heft können Sie über diesen Link herunterladen.