Werte der Freiheit

Zwischen Individualismus und Kollektivismus

Es wirkte wie ein gut inszeniertes Theaterstück. Der erste Akt war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19. November 2021, das die Verwehrung von Grundrechten „in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie“ als mit dem Grundgesetz vereinbar betrachtete. Der zweite Akt waren die sofortigen Rufe aus der Politik nach strengeren Auflagen für Unternehmen, Kontaktverboten oder der bis vor der Bundestagswahl stets als unmöglich verworfenen Impfpflicht.

BVerfG-Urteil ebnet unschönen Weg

Diese Entwicklung zeigt eine Entwicklung in Deutschland, die in Zukunft Freiheit und Eigenverantwortung erschweren werden. Das BVerfG hat durch seine politische Entscheidung eine Tür aufgemacht, die wir so bald nicht mehr zubekommen – nämlich die, dass der Staat einen Notfall ausrufen und auf dieser Basis Grundrechte aussetzen darf. Spötter in den Sozialen Netzwerken sprachen schon vom „Ermächtigungsgesetz 2.0“

Von diesen Vergleichen distanziert sich der Autor dieser Zeilen. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass zukünftig ideologische Politik einfacher und gegen Mehrheiten realisiert werden kann. Auch Verfassungsrechtler sehen das Problem, dass in zukünftigen Notlagen Grundrechte großflächig ausgesetzt werden können: Will nämlich der Bürger seine Grundrechte bewahren, muss er klagen. Also nicht der Staat muss die Gefahrenlage beweisen, sondern der Bürger die Ungefährlichkeit der Lage, dies jedoch zu Voraussetzungen, die der Staat zuvor bestimmt hat.

Ruft die Regierung beispielsweise den Klimanotstand aus und verbindet ihn mit einem dauerhaften Fahrverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor, so muss dem Staat die Ungefährlichkeit des Motors oder die Nicht-Existenz klimatischer Veränderungen nachgewiesen werden. Wer sich in der aktuellen wissenschaftlichen Klima-Diskussion auskennt und auch weiß, welche Probleme mainstreamkritische Artikel bei den führenden wissenschaftlichen Verlagen haben, der kann sich die Erfolgswahrscheinlichkeit einer solchen Klage ausrechnen.

Aktionismus statt Vernunft

Während sich die einen freuen und sich die anderen (z.B. Querdenker) ärgern, steht man als (zumindest selbst empfundener) Teil der vernünftigen Mitte fassungslos vor dieser Entwicklung. Denn kaum waren die Meldungen des BVerfG-Urteils über den Ticker gegangen, da kamen auch schon die ersten Politiker aus der Deckung mit absurdesten Forderungen zur Bewältigung der Pandemie.

Der eine forderte einen Adventslockdown für alle, der andere, dass wer sich nicht impfen lässt, keine Arbeitsstelle mehr erhalten dürfe. Unfreiheit und Zwang über den Geldbeutel – hierzu fallen einem nur Begriffe ein, deren Nennung an dieser Stelle bereits der Anstand verbietet. Mit demokratischem Verständnis, mit politischer Führungsstärke oder gar fachlicher Kompetenz haben diese politischen Positionen jedenfalls nichts zu tun. Hier versagt unser staatliches Konstrukt auf ganzer Linie.

Vernunft statt Aktionismus

Nicht nachvollziehbar ist auch das Festhalten an nur einer Variablen – der Inzidenzrate. Vom Versprechen, diese stets in Relation zu anderen Werten, wie u.a. der Hospitalisierungsrate zu setzen, hört man derzeit nicht viel. Im Gegenteil. Das Robert-Koch-Institut veröffentlichte Zahlen, wonach die Omikron-Variante deutlich harmloser verlief als vorhergehende CoVid-Varianten. Dennoch bliesen Politik und Medien in das Horn der schlimmen vierten Welle. Was wirklich kam, waren Restriktionen für Handel und Gewerbe und verunsicherte Menschen, die statt zur Impfung auf die Straße gingen. Die Politik, egal ob Schwarz-Rot oder Ampel, hat die Lage weder politisch noch kommunikativ im Griff.

Wissenschaftliche Herangehensweise, politische Vernunft und eine ehrliche Debatte täten Deutschland somit besser als hysterische Politiker, die ständig versuchen, sich gegenseitig in ihren Forderungen zu übertrumpfen. Seien wir doch ehrlich – man fragt sich doch, ob hier noch ein Virus bekämpft werden soll oder eine Gesellschaftsform.

Oder hat die Politik einfach nur Angst, dass sie zur Verantwortung gezogen wird, wenn sie jetzt frühere Überreaktionen oder Fehlentscheidungen eingestehen würde? Noch bis 2019 wurden Krankenhäusern Prämien bezahlt, wenn diese Betten reduzierten und seit Jahren waren die Missstände in der Pflege bekannt. Die Zeche bezahlen am Ende doch ohnehin die Bürger, dann dürfen diese von ihren Vertretern, wenn schon nichts anderes, doch zumindest Ehrlichkeit verlangen.

Wie viel Raum geben wir dem noch?

Dies ist nun die letzte Grenze. Wenn wir auch diese letzte Bastion unseres Wertekanons aufgeben, wer sind wir dann? Die Grünen sprechen immer davon, dass wir unseren Kindern eine gesunde Erde hinterlassen wollen. Das teilen wir und dafür entwickelt der Mittelstand auch die Strategien und Technologien. Aber mindestens genauso wichtig ist, dass wir ihnen auch unsere Grundwerte weitervererben, denn sonst werden diese mit uns aussterben.

So sei final an dieser Stelle einmal mehr Ronald Reagan gepriesen, der sagte: „In this present crisis, government is not the solution to our problem; government is the problem.“ Eine Schutzmauer gegen dieses Problem ist nun gefallen. Was kommt danach?